„Wenig Diskriminierung, vielmehr Unwissenheit“

Vielfalt im deutschen Film – dazu hat die FilmFacts-Redaktion recherchiert! So ist eine Interviewserie entstanden, die nun wöchentlich erscheint. Mit Barbara Fickert haben wir über den Stellenwert barrierefreier Filmfassungen gesprochen.

Barbara Fickert: "Ich habe wenig Diskriminierung erfahren, ich stoße vielmehr auf Unwissenheit. Der Umgang mit meiner Blindheit ist noch immer nicht selbstverständlich und manchmal recht verkrampft."
Barbara Fickert über ihre Erfahrungen als blinde Person. | Bild: MFG Baden-Württemberg

Im vergangenen Jahr hat die MFG eine umfangreiche Diversitäts-Umfrage der Initiativgruppe „Vielfalt im Film“ mitfinanziert. Zu ihren persönlichen Erfahrungen wurden über 6.000 Filmschaffende in Deutschland befragt. Die im Frühjahr veröffentlichten Ergebnisse sind eindeutig: Diskriminierung durchzieht die Branche. In der aktuellen Ausgabe der FilmFacts berichten wir ausführlich zu diesem Thema und legen den aktuellen Entwicklungsstand dar. Dafür haben wir u. a. Interviews mit Vertreter*innen der Initiativgruppe und anderen Branchenmitgliedern mit unterschiedlichen Vielfaltsbezügen geführt. Die Interviews veröffentlichen wir nun in voller Länge in unseren News. Lesen Sie hier weitere Interviews.

 

Barbara Fickert produziert als blinde Person barrierefreie Filmfassungen und ist Filmbloggerin. Mit “Kinoblindgänger” erstellt sie Audiodeskriptionen und erweiterte Untertitel für internationale Arthouse Filme. Aktuell bringt sich die gemeinnützige Organisation mit ihrem Positionspapier „Impulse für den barrierefreien Film“ in die anstehende Novelle des FFG ein.

 

Welche Erfahrungen haben Sie als blinde Person im filmischen Kontext mit Diskriminierung gemacht?

Ich muss sagen, ich habe wenig Diskriminierung erfahren. Ich stoße vielmehr auf Unwissenheit. Vor einiger Zeit habe ich mich von einem Taxifahrer ins Kino fahren lassen. Als wir ankamen, hat er mich gefragt, ob ich das Blindsein bloß spielen würde – es gäbe ja Menschen mit solchen Ticks. Wie kam er auf diese Idee? Er konnte sich einfach nicht vorstellen, was ich als tatsächlich blinde Person im Kino wollte.

 

Was reizt Sie persönlich denn am Kinoerlebnis?

Ich gehe mit Freunden, aber auch gerne allein ins Kino. Ich mag es, wenn es ganz dunkel wird und ich mich mit allen anderen im Saal vom Film mitreißen lassen kann. Gemeinsam lachen, zusammenzucken oder den Atem anhalten. Und besonders liebe ich die grandiose Akustik. Einen Film genießen kann ich allerdings nur, wenn ich die Audiodeskription über meine Kopfhörer ins Ohr geflüstert bekomme. Und das ist leider viel zu selten der Fall.

 

Wo liegen die großen Probleme bei den barrierefreien Fassungen?

Das Grundproblem ist die Verfügbarkeit. Filmproduktionen sind bereits seit 2013 von den Förderungen dazu verpflichtet, barrierefreie Fassungen zu erstellen. Es gibt sie also. Aber in Deutschland sind kaum Kinos technisch entsprechend ausgestattet, um die auf den DCP’s (technische Filmkopien für das Kino) hinterlegten Fassungen dann auch abzuspielen. Das ist bundesweit in nur ungefähr 20 Kinos der Fall.

Die Regelung betrifft zudem nur deutsche Produktionen. Für über die Hälfte der jährlich in den Kinos gezeigten internationalen Filme gibt es gar keine barrierefreie Fassung!

 

Gibt es hierfür denn keine Lösungsansätze?

Die Bereitstellung aller vorhandenen barrierefreien Fassungen über eine kinounabhängige App wäre schon einmal ein ganz großer Schritt nach vorne. Die Zielgruppen können sich die jeweils benötigte Filmfassung herunterladen und gehen dann mit dem Smartphone ins Kino. Die einzige Voraussetzung auf Seite des Kinos ist dann, dass der Film dort gezeigt wird. So werden auf einen Schlag flächendeckend alle erreicht, die sich die App auf ihrem Smartphone installiert haben. Das sind bei einem der bekanntesten Anbieter inzwischen über 45.000 Personen. So funktioniert kulturelle Teilhabe und ein nicht zu unterschätzender Marktanteil ist es auch!

Auch hier gilt allerdings: Für die vielen internationalen Filmtitel fühlt sich bis jetzt niemand zuständig, keine deutschen Fördergelder, keine barrierefreie Filmfassung.

 

Wie steht es denn um die Qualität der Fassungen?

Da gibt es große Unterschiede. Ein guter Leitfaden sind die Empfehlungen der FFA für Standards barrierefreier Filmfassungen, an die sich leider nicht alle halten. Audiodeskriptionen und auch erweiterte Untertitel müssen von jeweils geschulten Personen erstellt werden und sind genauso eigene Kunstformen wie die Gewerke Regie, Drehbuch, Filmmusik und Kamera.

 

Worin bestehen denn die Unterschiede zwischen einer guten und einer schlechten barrierefreien Fassung?

Eine gute Audiodeskription läßt möglichst bildsynchron die Filmbilder im Kopf entstehen, transportiert die Stimmung des Films und verschmiltzt mit diesem zu einer Einheit. Wenn zum Beispiel das Publikum lacht und ich weiß nicht warum, ist etwas falsch gelaufen. Und es darf nicht interpretiert werden, sondern das Geschehen auf der Leinwand muss möglichst präzise, knapp und lebendig in Worte gefasst werden. In meinem Blog Blindgängerin beschäftige ich mich regelmäßig mit diesem Thema. Und kleine Hörschnipsel gibt es auf unserer Website bei einigen unserer bis jetzt realisierten Projekte. Wir sind dabei allerdings komplett über Spenden und Sponsorengelder finanziert.

 

Das Thema Diversität ist nicht zuletzt durch die Studie “Vielfalt im Film”, an der sie auch beteiligt waren, aktuell sehr präsent. Hat sich für Sie bereits etwas zum Positiven verändert?

Positiv ist vor allem, dass das Thema "barrierefreier Film" immer mit auf den Tisch kommt, wenn es um „Vielfalt im Film“ geht! So findet in der Filmbranche Aufklärung und gezielte Information darüber statt, dass auch „wir“ ins Kino gehen und wir eine Zielgruppe sind. Manchmal ist der Umgang mit meiner Blindheit noch ein bißchen verkrampft. Das Thema “körperliche Behinderung” muss viel selbstverständlicher und natürlicher in der Öffentlichkeit werden.

 

Wie könnte man Verbindlichkeit schaffen in der Branche – langfristig?

Es muß ganz klar geregelt werden, dass barrierefreie Fassungen nicht nur produziert, sondern im Kinosaal auch tatsächlich zugänglich gemacht werden. Dazu sollten auch Fördergelder bereitgestellt werden. Die Verleiher*innen sollten bei der Erstellung barrierefreier Fassungen für internationale Filme unterstützt werden. Bisher gibt es dazu keinen Fördertopf – und der muss dringend her, zum Beispiel bei der BKM. Denn Teilhabe am Kulturgut Film darf nicht auf Filme bschränkt sein, die mit deutschen Fördergeldern produziert wurden! Der BKM liegt hierzu unser Positionspapier vor.

 

Das Interview führte Katrin Sikora.

  Aktuelle Ausgabe der FilmFacts: Close Up

Positionspapier von Kinoblindgänger

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