„Viele qualifizierte Frauen bekommen keine Chance!“

Vielfalt im deutschen Film – dazu hat die FilmFacts-Redaktion recherchiert! Mit Julia Schlingmann haben wir darüber gesprochen, wie es ist, als Kamerafrau in einem männerdominierten Berufsfeld zu arbeiten

 

Zitat: "Wenn ich über eine Frauenquote zu einem passenden Auftrag kommen würde, wäre das völlig in Ordnung.
Julia Schlingmann erzählt über ihre Erfahrungen als Kamerafrau. | Bild: MFG Baden-Württemberg

Im vergangenen Jahr hat die MFG eine umfangreiche Diversitäts-Umfrage der Initiativgruppe „Vielfalt im Film“ mitfinanziert. Zu ihren persönlichen Erfahrungen wurden über 6.000 Filmschaffende in Deutschland befragt. Die im Frühjahr veröffentlichten Ergebnisse sind eindeutig: Diskriminierung durchzieht die Branche. In der aktuellen Ausgabe der FilmFacts berichten wir ausführlich zu diesem Thema und legen den aktuellen Entwicklungsstand dar. Dafür haben wir u. a. Interviews mit Vertreter*innen der Initiativgruppe und anderen Branchenmitgliedern mit unterschiedlichen Vielfaltsbezügen geführt. Die Interviews veröffentlichen wir nun in voller Länge in unseren News. Lesen Sie hier weitere Interviews.

 

Julia Schlingmann hat „Kamera und Bildgestaltung“ an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und arbeitet seit 2013 als freiberufliche Kamerafrau. Sie ist zudem Vorstandsmitglied des Berufsverbands Kinematografie (BVK), und als Diversitätstrainerin für Filmhochschulen und medial ausgerichtete Unternehmen tätig.

 

Sie sind als Kamerafrau in einem männlich dominierten Berufsfeld tätig. Welche Erfahrungen mit Benachteiligung oder Diskriminierung aufgrund Ihres Geschlechts haben Sie gemacht?

Ich habe immer wieder entsprechende Erfahrungen gemacht, zum Beispiel im Zusammenhang mit Bewerbungen an Filmhochschulen, beim Eintritt in den Beruf und im persönlichen Kontakt am Set. Diskriminierung kann konkret geäußert, aber auch ganz subtil sein. Als ich mit Anfang 20 in die Branche gekommen bin, war ich darauf angewiesen, dass mich die ersten Kamera-Assistent*innen buchen und zum Dreh mitnehmen. Damals habe ich das erste Mal – und lange nicht das letzte Mal – zu hören bekommen: „Ich arbeite nicht mit Frauen“. Anfangs habe ich gar nicht verstanden, dass es für mich überhaupt nicht möglich ist, dieses sogenannte Defizit auszugleichen. Ich durfte mir keine Fehler erlauben, während männliche Kollegen das schon eher konnten.

 

Sie haben die verschiedenen Arten von Diskriminierung angesprochen. Wo begegnet sie ihnen denn in subtiler Form?

Diskriminierung zieht sich bis heute durch meinen Arbeitsalltag. Zum Beispiel, indem ich in meiner Rolle übergangen werde. Wenn ich mit der Regie zusammen auftrete, werde ich öfter für die Regieassistentin gehalten. Das zeigt deutlich, wie filmische Berufe besetzt sind – gerade im Kamerabereich. In vielen deutschen Fernsehserien, welche teilweise schon Jahrzehnte existieren, waren noch nie Kamerafrauen tätig. Es gibt viele qualifizierte Frauen, die einfach keine Chance bekommen!

 

Sie sind inzwischen zweifache Mutter. Hat das den Umgang noch einmal verändert, und wenn ja inwiefern?

Ja! Ich wurde oft gefragt, wie ich denn meine Fürsorgepflicht mit meinem Job vereinen könnte. Das würde man einen Vater nicht fragen, sollte man aber, um eine generelle Lösung für die familiäre Unvereinbarkeit der Branche zu finden.

 

Was könnte Eltern in der Filmbranche dabei helfen, Familie und Beruf zu vereinen?

Es ist grundsätzlich nicht möglich, Doppelverdiener in der Filmbranche zu sein. Das ist in meiner Familie zum Beispiel auch der Fall: Mein Partner ist – wie ich – im Filmbereich tätig. Wir können nicht gleichzeitig arbeiten, weil wir die Kinderbetreuung dann nicht gewährleisten können. Deshalb wäre die Reduzierung der Arbeitszeit eine totale Erleichterung für alle Filmschaffenden mit Familie.

 

Was halten Sie von Quoten, um Verbindlichkeit zu schaffen?

Ich finde, das ist erst mal eine ganz gute Lösung. Um allein auf die gesellschaftliche Entwicklung zu setzen, bräuchte es einen sehr langen Atem. Die Quote sollte für eine bestimmte Zeit differenziert eingesetzt werden, um den Prozess zu unterstützen. Wenn ich über eine Frauenquote zu einem passenden Auftrag kommen würde, wäre das für mich völlig in Ordnung.

 

Wen sehen Sie in der Verantwortung, um Vielfalt und Gerechtigkeit im Film zu schaffen?

Wir als betroffene Personen in jedem Bereich der Diskriminierung sind schon seit Jahren aktiv. Ich finde jetzt ist die Politik am Zug! Das private Engagement von Einzelpersonen kann natürlich immer ausgebaut werden, aber irgendwo ist auch eine Grenze.

 

Was würden Sie sich in Bezug auf Toleranz und Vielfalt im Film wünschen?

Mein Wunsch ist natürlich, dass sich die Struktur der Filmbranche nachhaltig ändert, und dass sich die Offenheit der einzelnen Akteure gegenüber Diversitätsthemen noch erweitert. Ich wünsche mir mehr Bewegung in der deutschen Fernsehlandschaft, und dass sie sich nicht immer nur auf Reproduktion beschränkt.

 

Was kann die deutsche Film- und Fernsehlandschaft dazu beitragen, die Situation zu verbessern?

Diversität sollte nicht nur hinter der Kamera stattfinden, sondern auch durch das repräsentiert werden, was wir produzieren: Welche Themen Filmschaffende verarbeiten, und wie wir sie darstellen, hat einen Einfluss auf die Gesellschaft. Bilden wir Vielfalt ab, unterstützen wir den gesamtgesellschaftlichen Prozess. Viele Streaming-Anbieter tun dies auch schon. Sie sehen darin natürlich auch einen marktwirtschaftlichen Zweck. Aber warum auch nicht? Es ist völlig okay, wenn auch kommerzielle Beweggründe dahinter stecken, so lange Diversität glaubwürdig stattfindet! Klar, oft werden Dinge noch viel zu stereotypisch oder übertrieben dargestellt. Aber das kann sich auch weiterentwickeln. Man sollte an dieser Stelle nicht aufhören, sondern dranbleiben! Ich bin froh, dass es eine Bewegung gibt, und ich hoffe, dass auch in Zukunft noch weiter daran gearbeitet wird, Diversität im Film zu schaffen.

 

Das Interview führte Paula Bornemann.

Aktuelle Ausgabe der FilmFacts: Close Up

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